Lernkultur – oder was nicht passt, wird passend gemacht

Viele Führungskräfte sind exzellent darin, Probleme zu lösen. Das ist ein Grund, warum sie die Karriereleiter aufgestiegen sind. Wer als brillanter Problemlöser bekannt ist, sollte auch damit rechnen, dass Mitarbeitende für ihre Herausforderungen Lösungen suchen. Die Führungskräfte – auf Effizienz und Zeitersparnis ausgerichtet – hören sich dazu drei Sätze an und schon macht es Klick – sie kennen das Problem und haben die Lösung dazu. Es gibt nur einen Haken: Die Lösung mag genial sein, nur leider muss man jetzt erstmal das Problem dafür suchen, denn es nicht jenes, dass der Mitarbeitende vorgebracht hat. Folgendes lässt sich nun beobachten: Die Schuld, warum das eigentliche Problem nicht gelöst wurde, liegt beim Mitarbeitenden oder in den äußeren Umständen. Doch warum ist das so?
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Predictive Brain Theory: Wie unser Gehirn die Welt modelliert

Dieser Art der Schuldzuweisung begegne ich sehr häufig im Coaching und ich bin mir sicher, dass auch Ihnen eine Situation einfällt, in der Sie selbst oder eine andere Person den Fehler im Außen, statt bei sich selbst gesucht hat. Dieser Blog soll einen neuen Blickwinkel für solche Situationen öffnen und nimmt dabei Bezug auf eine Theorie aus der Psychologie: die „Predictive Brain Theory“. Diese besagt, dass das menschliche Gehirn darauf ausgerichtet ist, Vorhersagen über die Umwelt zu treffen und sich unsere Wahrnehmungen auf Basis dieser Vorhersagen formen. Weiter geht die Theorie davon aus, dass unser Gehirn eine Art internes Modell der Welt aufbaut, das auf unseren Erfahrungen und Erwartungen basiert. Das Gehirn sammelt unablässig Informationen über die Umwelt und vergleicht diese mit den Vorhersagen, die es aufgrund unseres Wissens und unserer Erfahrungen gemacht hat. Wenn es jetzt zu Unterschieden zwischen den Vorhersagen und der tatsächlichen Wahrnehmung kommt, werden diese als Fehler interpretiert und das Gehirn passt im besten Fall seine Vorhersagen entsprechend neu an. Der Prozess der ständigen Anpassung und Aktualisierung von Vorhersagen führt dazu, dass unser Gehirn sehr effektiv darin ist, Informationen zu verarbeiten, Entscheidungen zu treffen und in der Kommunikation schnell zu reagieren.

Lerneffekt oder Anpassung der Wahrnehmung?

Die Predictive Brain Theorie besagt ebenfalls, dass die Art und Weise, wie unser Gehirn Vorhersagen trifft und anpasst, eng damit verbunden ist, wie wir unsere Wahrnehmungen und Handlungen steuern. Nach der Theorie findet Lernen somit immer dann statt, wenn fehlerhafte Vorhersagen an unerwartete Ereignisse angepasst werden müssen und die mentalen Kategorien so erweitert und ausgebaut werden. Wir lernen tatsächlich aus diesen Vorhersagefehlern, da wir die neuen Erfahrungen integrieren und so intern ein noch besseres Modell der Wirklichkeit schaffen.

Grundsätzlich gibt es zwei Wege, um mit Vorhersagefehlern umzugehen:

  1. Die Vorhersagen werden angepasst und es entsteht ein Lerneffekt.
  2. Die Wahrnehmung wird beeinflusst und angepasst, sodass der Fehler nicht als Fehler wahrgenommen wird. Dementsprechend tritt kein Lerneffekt ein.

Beim zweiten Weg trifft die Aussage, dass was nicht passt, passend gemacht wird zu – stimmt die Wahrnehmung nicht mit der Vorhersage überein, wird die Wahrnehmung passend gemacht. 

Greifen wir auf das Beispiel der problemlösenden Führungskraft zurück, kann es sein, dass diese ihre fehlerhafte Vorhersage nicht ändert und somit kein Lerneffekt entsteht. Stattdessen wird der Fehler in der Umwelt gesucht: der Mitarbeitende, die Situation, der spezielle Fall. So kann der Fehler theoretisch überall dort gefunden werden, worauf sich die Aufmerksamkeit zu diesem Zeitpunkt richtet. Ab diesem Punkt ist die Wahrnehmung nicht mehr realitätsgetreu, sondern ändert sich, um eine mentale Repräsentation zu schaffen, die den Fehler im Außen gefunden hat und nicht in der Vorhersage.

Der eigene Umgang mit Fehlern

Was die Predictive Brain Theorie versucht zu erklären, geschieht im Alltag blitzschnell, unkontrollierbar und unbewusst. Manchmal können wir gar nicht so schnell denken und schon ist es passiert. Sie ist jedoch ein gutes Beispiel für unsere Fehler- bzw. Lernkultur. Fragen Sie sich einmal selbst, wie sie mit Fehlern umgehen. Ändern Sie Ihre Vorhersagen, Einstellungen und Kategorien und lernen? Entwickeln Sie sich weiter und sind offen für Veränderungen? Oder suchen Sie nach Gründen für den Fehler im Außen, der Umwelt oder anderen Personen und bleiben bei ihren Vorhersagen?

Das Ganze geht aber sogar noch einen Schritt weiter: Die Psychologin Carol Dweck beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, warum sich manche Menschen stetig weiterentwickeln und andere in ihrer Entwicklung stagnieren. Was genau damit gemeint ist und wie simpel eine Lösung zur Lernkultur aussehen kann, erfahren Sie im nächsten Blog.

Hören Sie bis dahin gerne in den Business Podcast von Alice Dehner rein. Dort gibt es noch viele weitere Impulse für Führungskräfte, Business Talk, Management-Input und Gedanken, die Unternehmen für die Zukunft stärken.